Im Sommer fand in Wien ein Festival mit dem Namen „Look at this Vulva – ein unverschämter Blick“ statt. Dort wurde unter anderem ein Sammelsurium aus bildender und darstellender Kunst zum Thema des weiblichen Geschlechts ausgestellt. Was dort ausgestellt wurde und vor allem wozu es das braucht, erzählt die Künstlerin Anna Schebrak, die mit ihren Werken vor Ort war.

Warum wird das Öffentlichmachen des intimsten Körperteils gerade in einer Zeit so  populär, wo Frauen sich öffentlich immer mehr gegen sexuelle Übergriffe wehren und dagegen laut werden? Widerspricht der Gedanke „Mein Körper gehört mir“ nicht dem, den Körper der Öffentlichkeit preiszugeben? Was war der Gedanke hinter der Ausstellung? Warum brauchen wir mehr Sichtbarkeit der Vulva?

Ich denke, es geht nicht um das Öffentlichmachen oder zur Schau stellen von Intimität. Intimität ist etwas sehr Filigranes und Beschützenswertes, aber es geht um einen öffentlichen Diskurs zum Thema „weibliche Sexualität“, um Tabus zu brechen und zu zeigen, dass wir eben alle „richtig“ sind, in unserer Vielfältigkeit. 

Wir leben in einer Zeit, in der Sex allgegenwärtig, aber auf eine sehr kapitalistische und patriarchale Weise reduziert ist, in der das weibliche Geschlecht als austauschbares und überall verfügbares Konsumgut dargestellt wird. 

Das worum es in dieser Bewegung und in unserer Ausstellung geht, ist die Sexualität und die Vielfalt auf eine respektvolle, liebevolle, aufklärende Weise zum Thema zu machen. 

Was hier passiert ist Aufklärung und Heilung von ewig alten und verrosteten Bildern, Glaubenssätzen und Mustern. Wie kann es sein dass es noch heute Biologie-Bücher gibt in denen etwa ein ganzes Organ- die Klitoris nahezu ignoriert wird oder von einem erbsengroßen Knopf die Rede ist? Die Klitoris ist aber ein genialer Schwellkörper der bei Erregung bis zu 300 Prozent anschwellen kann und uns Frauen für ein überaus lustvolles Leben rüstet. Oder wir noch immer damit hadern unser Geschlecht achtsam zu benennen, denn „Vagina“ bedeutet Scheide – so wie die Schwertscheide, also benennen wir unser Geschlecht wie ein Loch- eine Abwesenheit die aufgefüllt werden soll. 

Aber wir Frauen haben so viel mehr zwischen den Beinen, wir haben ein sichtbares Genital- unsere Vulva und eine Vagina mit unendlich vielen Nervenenden die in direktem Zusammenhang mit unserem Gehirn und unserem Geist stehen.

Eine Frau, die ihre Sexualität kennt und frei lebt empfindet Mut, Verbundenheit, Selbstvertrauen und lebt Kreativität. Solch eine Frau lässt sich nicht mehr kontrollieren und unterjochen, solch eine Frau ist selbstermächtigt, rebellisch und gefährlich für ein patriarchales System.

 

Warum hat sich die Ausstellung nur auf weibliche Geschlecht beschränkt und nicht auch das männliche miteinbezogen? Hast Du das Gefühl, dass das männliche Geschlecht im Gegensatz zum weiblichen in der Gesellschaft überrepräsentiert ist? Ist es öffentlich sichtbarer?

Die Ausstellung hat sich mit der „weiblichen Sexualität“ auseinandergesetzt um diese einfach mal explizit zu beleuchten und ihr Raum zu geben. Männer wurden aber keineswegs ausgeklammert, sondern eingeladen, sich zu beteiligen und es gab vielseitiges Anschauungsmaterial zu vielseitigen Geschlechtern. 

An dieser Stelle möchte ich auch gleich unser duales Denken in Bezug auf „Weiblein“ und „Männlein“ hinterfragen. Denn wer hat denn das bitte erfunden? Was ist mit den ca. 0,2 Prozent der Bevölkerung, die als „intersexuell“ kategorisiert werden aber in der Regel gleich nach der Geburt umoperiert werden? Oder wie wird umgegangen mit all den weiblichen und männlichen Anteilen in uns? was bedeutet überhaupt weiblich und männlich? Gibt es das überhaupt, ist das alles ein gesellschaftliches Konzept und soziale Prägung oder gibt es unterschiedliche Qualitäten die man auch Anima und Animus oder auch Eros und Logos nennen könnte, die Männern und Frauen unterschiedlich zugeordnet werden aber eigentlich in uns allen wirken? Könnten solche Fragen womöglich Antworten beinhalten auf viele zwischenmenschliche Problemstellungen in unserer Welt?

 

Glaubst Du, dass Ausstellungen wie diese zum Sichtbarmachen des weiblichen Geschlechts nachhaltig beitragen?

 

Ja, alleine schon deshalb, weil sie bei Vielen zum Nachdenken anregt und Keime hinterlässt ,die womöglich zu großer Veränderung und Mut zur Aktion heranreifen können.

 

Was hast Du dort ausgestellt?

Ich habe in dieser Ausstellung zwei große Holzskulpturen und eine Installation gezeigt. Schon lange befasse ich mich viel mit den Parallelen zwischen Natur und Körper und liebe es scheinbar Unbedeutendes sichtbar zu machen. Auch Blätter haben zarte Härchen, Risse und Falten die ihre Geschichten erzählen. Ich habe meine riesigen Blätter hier unter dem Titel „Faltenspiele“ aufgehängt, denn sie zeigen auch viel Sinnlichkeit und lustvolle Zartheit und machen auf die Schönheit des Nicht-Perfekten aufmerksam. 

Bei meiner Installation aus in Silber getriebenen Buchen-Keimblättern spiele ich wieder mit dieser Mensch-Pflanzen-Thematik, denn diese Keimblätter zeigen eine fast schon humorvolle Nähe zu inneren und äußeren Schamlippen, die ich lieber schamlos „Lustlippen“ nenne. Keimblätter sind außerdem das, woraus alles weitere wächst, auch ein Embryo entsteht aus Keimblättern, aus denen sich unterschiedliche Strukturen, Gewebe und Organe entwickeln.

 

                                  

 

 

Worum geht es in Deiner Kunst für gewöhnlich? Hängt sie auch sonst mit dem Thema Sichtbarkeit zusammen?

Ja in meiner Kunst spielt die Sichtbarkeit eine große Rolle, da ich gerne sehr kleinen leicht zu übersehenden Details ihre Sichtbarkeit schenke und auch „Fehlern“ und „Makeln“ eine Bühne biete, um gesehen und als Besonderheit und ästhetisch wertvoll anerkannt zu werden. Außerdem ist es mir wichtig mit meiner Kunst darauf hin zu weisen, was richtig wichtig ist, nämlich auf unsere Erde aufzupassen und sie nicht auszuschöpfen bis zum Verdorren. Meine Arbeiten entstehen in tiefer Verbundenheit zum Wald, den Blättern, Wiesen, Gewässern… All das zu schützen erscheint mir als die notwendigste Aufgabe.

 

Glaubst Du, dass Kunst generell Themen in der Gesellschaft langfristig sichtbarer machen kann und damit etwas verändern kann? Oder ist das Deiner Meinung nach zu elitär gedacht, da die Menschen, die sich nicht in diesen kulturellen Kreisen aufhalten, auch nichts von den transportierten Aussagen mitbekommen?

 

Wenn sich Kunst nicht mehr mit gesellschaftlich heiklen und unangenehmen Themen befasst, gibt es glaube ich keine Entwicklung mehr. Ich sehe es als unsere aktivistische Pflicht, uns kritisch auseinander zu setzen, in den Dialog zu gehen, uns zu vernetzen und als bildende Künstler*innen die Themen sichtbar zu machen. Wer wenn nicht wir? Und ja, ich sehe auch dieses Problem, dass Kunst im Allgemeinen als ein Luxusgut für die Oberschicht deklariert ist. Aber Kunst entsteht in allen Schichten, wird von allen Schichten gesehen und gehört. Es wird nie so sein, dass alle Menschen gleich erreicht werden aber Kunst und Kreativität ist etwas Universelles und steht nicht im direkten Zusammenhang mit dem Bildungsgrat oder der Höhe des Einkommens. Wo allerdings eine große Schere entsteht, ist am Kunstmarkt, wobei der wiederum mehr mit Prostitution als mit Aktivismus zu tun hat. Es ist kein Honigschlecken von der Kunst leben zu wollen aber trotzdem will Kreativität gelebt werden und Kreative leben sie, ganz gleich aus welchen Kreisen sie stammen.

 

Du kommst eigentlich aus Innsbruck. Bist Du mit dem Gedanken nach Wien gezogen, dort mehr Möglichkeiten zu haben, künstlerisch tätig zu sein? Oder glaubst Du, ein Leben in Innsbruck wäre ähnlich verlaufen? Hat der Ort, an dem man Künstlerin ist, Deiner Meinung nach großen Einfluss auf das eigene Schaffen?

Ich bin nach Wien gegangen um dort von meiner Meisterin und Freundin Elisabeth Defner zu lernen und war parallel dazu als Bildhauerin angestellt. Ja, ich glaube eine große Stadt bietet schon viele Möglichkeiten sich künstlerisch weiter zu entwickeln, einfach auch weil die Vielfalt an Austauschmöglichkeiten eine viel größere ist. Allerdings gibt es in der Stadt auch viel mehr Ablenkung und ich habe Freunde die noch heute in Innsbruck künstlerisch sehr aktiv und auch erfolgreich sind und Freunde in Wien oder Berlin die sich vom ständigen Vergleich und Erfolgsdruck stoppen lassen. Die Umgebung spielt sicherlich eine Rolle aber nicht die ausschlaggebende. Ich glaube, Kreativität entsteht durch einen klaren, ruhigen Geist und den hab ich, wenn ich draußen bin im Grünen, befreit von Stress, Hektik und Lärm.

 

Wie ist es zum Ausleben Deiner Leidenschaft gekommen?

Ich wusste schon als Kind, dass ich eine starke Kreativität in mir trage und es gab eigentlich keine andere Möglichkeit für mich als in diese Richtung zu gehen. Ich wollte immer Bildhauerin, Malerin, Handwerkerin, Tänzerin, Geigenbauerin, Musikerin… werdend und entschied mich dann auf die HTL- Bau und Kunst mit dem Zweig für Bildhauerei in Innsbruck zu gehen, um gleich anschließend als Bildhauerin und Schmuckkünstlerin tätig zu sein. Ich habe mich auf etlichen Universitäten und Fachhochschulen für bildende Kunst, Restaurierung, Tanz, und Goldschmiede beworben, wurde bei allen aufgenommen aber hab mich dann nirgends wirklich wohl oder richtig gefühlt. Also entschied ich mich für den freieren aber auch schwierigeren Weg und habe einfach zu arbeiten begonnen. Leider ist es in Österreich nicht sehr leicht möglich, ohne Titel und Abschluss bei Ausschreibungen eingeladen zu werden oder zu Ausstellungen zu gelangen, aber ich habe auch nicht den Anspruch nur von freier Kunst zu leben. Ich fühle mich auch stark als Handwerkerin und lebe momentan hauptsächlich von der Bildhauerei für Restaurierungen und von der Goldschmiede.

 

Welche Medien benutzt Du künstlerisch? Könntest Du Dir auch andere vorstellen?

Bisher verwende ich für meine Skulpturen und Reliefs hauptsächlich Holz und Keramik; als Goldschmiedin arbeite ich ganz klassisch mit Edelmetallen –  allerdings ausschließlich mit recycelten – und ich zeichne und aquarelliere auf Papier. Mir sind optisch und haptisch wertvolle Materialien sehr wichtig und ich liebe das alte Handwerk der Schnitzerei und auch das Modellieren oder Treiben von Metallen. Ich könnte mir aber schon vorstellen auch mal etwas in Richtung Performance-Kunst oder Film zu probieren, aber da gibt es bisher noch keine klaren Ideen. 

 

Was hast Du für künstlerische Pläne? Gibt es etwas, mit dem Du Dich unbedingt noch beschäftigen möchtest?

Ich plane eine größere Gruppenausstellung/Show, wo es sich spartenübergreifend um die Themen Langsamkeit, Ruhe, Müßiggang… drehen wird, aber dazu mag ich jetzt noch nicht viel mehr verraten. Weiters würde ich gerne ein Street Art Projekt umsetzen und habe auch einige Ideen für neue Skulpturen in Holz und Keramik.

Aktuell gibt es noch eine Einzelausstellung von mir zu sehen in Wien in der Galerie 

„Splitter- Art“ – Salvatorgasse 10. 1010 , diese Ausstellung heißt STILLE . KÖRPER und beschäftigt sich mit Fragen zur Stille und wie Stille auf Körper wirkt, oder Körper auf die Stille und was wohl stille Körper sagen würden, wenn man sie lassen würde. Mehr dazu findet man auch auf meiner Homepage: www.annaschebrak.com

 

 

Fotocredits: Anna Schebrak